Propaganda


Propaganda / Öffentlichkeitsarbeit / Public Relation

 

Dieter Feige, März 2022

 

Die Kunst, aus der Verborgenheit durch strategische Manipulation eine „Massenmeinung“ zu generieren

 

Diese elektrisierende Breaking News hoher Reichweite dürfte hinlänglich bekannt sein. Am 14. März 2022 gegen 21 Uhr Moskauer Zeit tauchte eine junge Frau namens Maria Ovsiannikova, Mitarbeiterin des Senders, inmitten der Live-Nachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens plötzlich hinter der Moderatorin auf und hielt ein Plakat in die TV-Kameras. „No War! Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.“

 

„Propaganda“. So heißt das 1928 in den USA erschienene Buch von Edward Bernays, einem dort lebenden Neffen des Begründers der Psychoanalyse Sigmund Freud. Bernays war bestens mit den Erkenntnissen von „Onkel Sigi“ über die Triebstruktur des Menschen und die irrationalen Kräfte vertraut, die im Unbewussten, dem „Es“, schlummern, dem Ort der Begierden und Lüste. Nur durch das moralbasierte Gewissen, dem „Über-Ich“, werden sie in Schach gehalten und kulturell gebändigt. Freisetzen als Motivation für Handlungen könnte man indes diese Triebkräfte, wenn man den wachsamen Zensor im Kopf umstimmt, ihn mit einem anderen Bewusstsein füttert, ihn also manipuliert. Nicht nur beim einzelnen Individuum, sondern bei umstürzlerisch gesinnten Massen, so wie es die Geschichte der Aufstände, Meutereien und Revolten zeigt. Diese massenpsychologischen Effekte nutzbringend für die Beeinflussung von Meinungen und für Verhaltensänderungen solcherart einzusetzen, dass diese Manipulation jedoch im Verborgenen unbemerkt geschieht, war der Grundgedanke von „Propaganda“, später in Public Relations umbenannt. „Wenn wir den Mechanismus und die Motive des Gruppendenkens verstehen, wird es möglich sein, die Massen, ohne deren Wissen, nach unserem Willen zu kontrollieren und zu steuern“ ist das Prinzip seiner „Engineering of consent“. „Organising Chaos“, das erste Kapitel von „Propaganda“, bringt es auf den Punkt: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft. Diejenigen, die diesen unsichtbaren Mechanismus der Gesellschaft manipulieren, bilden eine unsichtbare Regierung, die die wahre herrschende Macht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Geist wird geformt, unser Geschmack geformt, unsere Ideen vorgeschlagen, größtenteils von Menschen, von denen wir noch nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art und Weise, wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist. Sehr viele Menschen müssen auf diese Weise zusammen-arbeiten, um als reibungslos funktionierende Gesellschaft zusammenleben zu können. Unsere unsichtbaren Gouverneure sind sich in vielen Fällen der Identität ihrer Kollegen im Innenkabinett nicht bewusst.“

 

In der politischen Propaganda, der psychologischen Kriegsführung, kommt es also darauf an, die subtile Manipulation als Bildung zu etablieren, um so Glaubwürdigkeit, hohe Akzeptanz und einen breiten Konsens zu erzielen. „Der einzige Unterschied zwischen „Propaganda“ und „Erziehung“ liegt wirklich im Standpunkt. Die Befürwortung dessen, woran wir glauben, ist Bildung. Die Befürwortung dessen, woran wir nicht glauben, ist Propaganda.“ Auf die Werbung abgezielt, bedeutet Propaganda als Meinungsmanipulation, starke Kaufanreize für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu setzen. „Dies ist ein Zeitalter der Massenproduktion. Bei der Massenproduktion von Materialien wurde eine breite Technik entwickelt und auf deren Verteilung angewendet. Auch in diesem Zeitalter muss es eine Technik zur Massenverbreitung von Ideen geben.“ Realisiert hat Bernays diese Technik, eine produzierte Idee in Umlauf zu bringen, mit einer Werbekampagne, die ihresgleichen noch sucht. Er hat es in den 20-er Jahren geschafft, in den puritanischen USA die Frauen als Konsumentinnen für Zigaretten zu erobern. Ein Tabubruch sondergleichen. Die Marke hieß „Lucky Strike“. Zuerst gewann er die Bekleidungsindustrie, das Grün der Zigarettenpackung zur weiblichen Modefarbe der Saison zu stilisieren. Sodann ließ er zur Osterparade 1929 eine Schar in diesem Grün gekleidete Frauen über die 5th Avenue flanieren, die im Blitzlichtgewitter der Pressefotografen „Lucky Strike“ rauchten und die Zigaretten als „Fackeln der Freiheit“ bezeichneten. Der symbolische Mehrwert der Zigarette als Zeichen männlicher, sprich phallischer Macht, so „Onkel Sigi“, war infolge dieser feministischen Revolte passé.

 

Propaganda als perfekt inszenierte Meinungsmanipulation in Wort und Bild hat etliche Ereignisse ausgelöst. Mussolini nutzte das Wissen der massenpsychologischen Manipulation für den Marsch auf Rom. Auch Goebbels war ein gelehriger Schüler von Bernays „Propaganda“. Ihm unterlief indes der gravierende Fehler, sich als Reichspropagandaminister zu titulieren und somit den Leitsatz des unsichtbaren Gouverneurs manipulierter Meinung preiszugeben. Vielleicht war es aber auch ein Akt von Hochmut, da es ihm doch gelang, dem deutschen Volk 1939 die Besetzung des Senders Gleiwitz durch polnisches Militär als Auslöser für den Einmarsch in Polen zu verkünden. „Die Auslösung des Konfliktes wird durch eine geeignete Propaganda erfolgen. Die Glaubwürdigkeit ist dabei gleichgültig, im Sieg liegt das Recht,“ kommentierte Hitler diese Aktion. Glaubwürdigkeit? Auch der dritte Golfkrieg wurde durch gezielte Propaganda initiiert, da der damalige US-Außenminister Colin Powell 2003 im Weltsicherheitsrat mit Multimediaeinsatz den Mitgliedern den Beweis von Massenvernichtungswaffen im Irak präsentierte, sodass er trotz erheblicher Zweifel der vor Ort recherchierenden Inspektoren der Rüstungskontrollkommission eine „Koalition der Willigen“ für den Krieg gewinnen konnte. 2005 bedauerte Powell diese falschen Darstellungen als Schandfleck in seiner Karriere. Ein Opfer von Propaganda, die in Konflikten dieses Ausmaßes besser greift, weil Propaganda auf die Freisetzung von Emotionen zielt. Rationale Gewissheit durch verifizierbare Fakten, um das Gewissen zu beruhigen, ist nicht die Absicht von Propaganda. Glaubwürdigkeit erzeugen, weil damit die emotionale Sphäre angesprochen wird.

 

Mit dem Irakkrieg begannt die Live-Schalte zum Kriegsgeschehen. Peter Arnett von CCN zeigte uns im Wohnzimmer die Einschläge der Marschflugkörper von seinem Hoteldach in Bagdad, ausgerüstet mit Kamera und Satellitenschüssel, in Echtzeit. Echtzeit? Nicht verifizierbar. Mittels Digitalisierung kann mittlerweile der Krieg auf dem Smartphone empfangen werden, aber Smartphones liefern auch Bilder des Kriegs, die in Lichtgeschwindigkeit über den Erdball kursieren. Trauen kann man den Bildern zwar nicht, aber sie üben einen starken Einfluss aus, der die Emotionen ins Spiel der Wahrnehmung bringt. Reine Glaubenssache, nicht überprüfbar, aber wirkungsvoll. Die Grenze zwischen Information und Täuschung verwischt zusehends. Erinnert sei an die 1990 im Öl am Ufer des Persischen Golfs verendenden Wasservögel, krepiert im Öl, das Saddam Hussein ins Meer hat abfließen lassen. Ein Fake, wie später zugegeben, das aber einen Meinungsumschwung bei vielen Menschen zugunsten der Militäroperation „Desert Storm“ bewirkt hat.

 

Zurück zu Maria Ovsiannikova. Die heroische Tat einer jungen Journalistin vermutlich. Oder auch ein Schachzug der Propaganda unsichtbarer Spin-Doktoren? Diese Frage findet im Moment keine zweifelsfreie Antwort. Wer waren die Adressaten des Aufrufs „Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.“ Doch letztlich all diejenigen, die diesen Appell in ihren Landesprachen übersetzt vernommen haben. Aber es bleibt ein Nebel zurück. Carl von Clausewitz, der den Krieg gedacht hat, bemaß der Täuschung eine bedeutende Rolle in der Kriegsführung zu. Sein Argument „Obwohl sich unser Intellekt immer nach Klarheit und Gewissheit sehnt, fasziniert unsere Natur oft die Ungewissheit.“ Unbestritten.

 

 

 

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