Tamagochi


Tamagotchi effect

“I broke the code”

Beginn einer permanenten interaktiven Beziehung zwischen Mensch und Maschine und veränderter gesellschaftlicher Konventionen

 

Dieter Feige Mai 2024

Menschen kommunizieren mit Maschinen statt miteinander - wir erleben das tagtäglich, aber nichts kommt von ungefähr. Erinnern wir uns an das Jahr 1997, als Tamagotchi auf den Markt kam, weltweit die interaktiven Küken in bunten Plastik-Eiern die Herzen vieler Kinder im Sturm eroberten. Füttern, Spielen, Streicheln, Saubermachen beschäftigte die Kids oft den ganzen Tag. Es ist die Geburtsstunde einer permanenten Bereitschaft - Social Media und veränderte gesellschaftliche Konventionen. Tamagotchi broke the code, so wie auf dem Eurovision Song Contest 2024 der Schweizer Nemo mit seinem Song I broke the code brillierte und dabei einen anderen gesellschaftlichen Wandel hervorhob. Tamagotchi, ein niedliches Küken, leblos und seelenlos, verpackt in einem handlichen Endgerät im Format einer Taschenuhr gab fortan den Takt des Tagesablaufs an, weil es ständig volle Aufmerksamkeit erforderte. Als frisch geschlüpftes Küken bewirkte dieses virtuelle Haustier in dieser neuartigen sozialen Beziehung ein hohes Maß an Empathie, Fürsorge, Verantwortlichkeit sowie strenge Disziplin bei seinem Petsitter.

 

Diese gegenseitige Disziplinierung, Petsitter diszipliniert Tamagotchi, Tamagotchi diszipliniert Petsitter, stiftete eine Abhängigkeit sowie eine Erwartungshaltung, welche im Kern die Funktionsgrundlage von Social Media bilden, die sowohl den User als auch das Endgerät als kommunikativen Austragungsort betreffen. Beide, Mensch und Maschine, können infolge dieser Konditionierung nicht mehr voneinander lassen. Faszination und Fluch zugleich. Nun ist Konditionierung im strengen Sinne ein Akt von Manipulation, der Verhaltensweisen oft unbewusst und subtil aufzwingt, die letztlich in eine Fremdbestimmung führen. Der verführerische Treiber für diese freiwillige Unterwerfung unter das Diktat von Social Media Plattformen sowie der auf gleicher Basis funktionierenden Apps wie Nachrichtenkanäle ist schlichtweg das Belohnungsprinzip („Nudging“). Bestätigung für richtiges Verhalten. Breaking News, man ist in Echtzeit sofort im Bilde. Likes und Followers, man genießt Reichweite und Response auf seinen Post. Man bedient sein persönliches Aufmerksamkeits-bedürfnis. Menschlich, allzu menschlich.

 

Last, not least. Es besteht indes leider - so Psychologen und Pädagogen - die Gefahr einer digitalen Zwangsneurose, da Offline-Sein schleichend ein Schuldbewusstsein generieren kann. Gewissensbisse, da man etwas Bedeutendes verpasst hat, nicht unter den Ersten war, als Schlafmütze oder Ignorant in seiner Community gilt. Doch das hat jeder schließlich selbst willens und wortwörtlich mit Knopfdruck in der Hand. Dass es funktioniert, betätigt zum Beispiel der Anblick verliebter junger Leute in einem Café, die sich lange und beglückt tief in die Augen schauen, weil es darin so viel zu lesen gibt.

 

Die „Ärzte“ haben Tamagotchi in einem Song gedankt, weil es den Kindern das lehrreiche Erlebnis beschert hat, Leben zu behüten, zu betreuen, großzuziehen, spielerisch aus sich soziale Skills zu entwickeln.

 

Die Ärzte

„Tamagotchi, Tamagotchi, Ich hab dich großgezogen. Doch unsere Zeit ist schnell verflogen. Tamagotchi, Tamagotchi. Mein Kind aus einer anderen Zeit. Wo bist du denn, wie geht's dir heut'?

https://www.youtube.com/watch?v=JalQ1m47FGc

 

 

 

 

Tamagochi (1)


Q: Bandai Tamagotchi - neu
Q: Bandai Tamagotchi - neu


Tamagochi (4)